Geschichte

Als am 28. August 1894 die Versöhnungskirche feierlich geweiht wurde, erstrahlte auf den vier Seiten des Kirchturmes die Turmuhr mit ihren goldenen Ziffern.

Die Uhr wurde 1894 vom Grossuhrmacher G.Richter aus Berlin hergestellt, wie das Schild am Uhrwerk beweist.

Von diesem  Augenblick an zeigte sie in den folgenden 87 Jahren verlässlich die Zeit an. Sie wurde zum zuverlässlichen Zeitmesser des Lebens der Menschen in ihrem Umfeld und Zeitzeuge der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert.

So erlebte sie den Beginn und das Ende des 1.Weltkrieges, die Abdankung des Kaisers, die Gründung der deutschen Republik, die Machtübernahme der Nazis und wiederum den Beginn und das Ende des 2. Weltkrieges und die Gründung zweier deutscher Staaten. Die Zerstörungen des 2. Weltkrieges hat sie weitgehend überstanden. Nach der Aufteilung Berlins in Sektoren stand sie im Sowjetischen Sektor. Die Gemeindemitglieder wohnten im französischen und sowjetischen Sektor. Der Zugang zur Kirche war frei von der Ost- und von der Westseite.

Das änderte sich mit dem 13. August 1961. Die Versöhnungskirche stand jetzt im Grenzgebiet der DDR. Zunächst noch unberührt, zeigte die Turmuhr unbeeindruckt von Teilung und Zuordnung weithin sichtbar die Zeit. Bald war die Kirche nicht mehr frei zugänglich. Das Gedicht von Milly Hilgenstock (siehe unten) drückt diese Situation treffend aus.

In den folgenden 24 Jahren, bis zum Januar 1985, gab es ein regelrechtes Tauziehen um die Existenz der Kirche der Versöhnung. Das Kirchengebäude ertrug alles wehrlos und langsam verfallend. Am Ende kam es zur Herausgabe der Einrichtungsgegenstände, unter denen sich die Turmuhr befand, bestehend aus Werk, Zeigerwerk und Schlaghämmern. Dann wurde die die Kirche im Januar 1985 gesprengt.[1]

[1] Horch und Guck 2008, Sonderheft, ISSN 1437-6164; Bürgerkomitee „15. Januar“ e.V. im Selbstverlag, Seite 56.

 

Die Kirche steht leer und verlassen

Von GKR_Mitglied Milly Hilgenstock im November 1961 verfasst.[1]

 

Es liegt an der Bernauer Straße
Inmitten der Stadt Berlin
Die Kirche, die jetzt verlassen,
Es steht eine Mauer darin.

Es mahnten so viele Stunden
Versöhnungsglocken die Stadt.
Sie klagten über die Wunden
Die Krieg uns geschlagen hat.

Nun sind die Glocken verklungen,
Vermauert die Kichtür, das Tor.
Und wo Lieder gesungen
Schweigt jetzt Gemeinde und Chor.

Die Uhr am Kirchturm blieb stehen
Bevor es Mitternacht schlug.
Wohin Herr sollen wir gehen?
Wann ist des Wartens genug?

Was will der Zeiger uns sagen,
Der fünf vor 12 blieb stehn?
Die Mauer hat uns zerschlagen,
wir können uns nicht mehr sehn.

Wir grüßen drüben die Brüder,
Die jetzt durch die Mauer getrennt.
Wir wissen, wir sehen uns wieder,
Der Herr die Seinen doch kennt.

Die Kirche steht leer und verlassen,
Kein Licht, kein Orgelton mehr.
Und an der Bernauer Str.
Die Steine klagen so schwer.

Die Zeit mag das Kreuz verhöhnen,
Es bleibt, wenn die Mauer zerfällt.
Dann wird uns wieder versöhnen
Gott über den Mauern der Welt.

Jetzt, im Jahr 2018, 57 Jahre nach Beginn des Mauerbaus und 33 Jahre nach der Sprengung der Versöhnungskirche, hat der Gemeindekirchenrat der Versöhnungsgemeinde beschlossen, das Uhrwerk der ehemaligen Turmuhr aus dem Depot zu holen und zu restaurieren. Mit dem Uhrwerk wird ein Zifferblatt der Berliner Zionskirche verbunden. Somit ist ein weiterer Schritt der Versöhnung möglich. Von der Zionskirche gingen viele Impulse  der Friedlichen Revolution 1989 in der DDR aus. Die Mauer fiel. Die Vereinigung des Uhrwerkes der Turmuhr der Versöhnungskirche und des Zifferblattes der Zionskirche bilden in Zukunft ein neues Zeit-Zeichen: „Die Uhr der Versöhnung“.

Die Diakonie Deutschland und Brot für die Welt Berlin nehmen die „Uhr der Versöhnung“ an ihrem neuen Standort im Foyer-Bereich ihres Hauses auf. In einem Plexiglas-Gehäuse ist sie dort im Wortsinn „ZEIT-Zeugin“ für die verwundete Geschichte Berlins. Diese Uhr wird durch ihren wiedererlangten Lauf zeigen, dass auch nach langewährendem Stillstand eine neue Zeit anbrechen kann.